Kleinbauern mit Ernte

Newsletter November 2019

Der Klimawandel und die Kleinbauern in Lateinamerika

Newsletter November 2019

Mehr als 90% der 570 Millionen landwirtschaftlichen Betriebe auf der Welt werden von Kleinbauern betrieben. Diese Familien produzieren über 80 % der Nahrungsmittel, die die Weltbevölkerung konsumiert. Von ihnen hängt die globale Ernährungssicherheit ab, doch ausgerechnet sie leiden paradoxerweise am meisten unter Hunger.

Die Gründe dafür sind vielfältig. Veraltete Anbaumethoden und fehlendes Wissen führen zur Übernutzung der natürlichen Ressourcen Wald, Wasser und Boden. Aber auch die Auswirkungen des Klimawandels verschärfen die Situation zunehmend. So sinkt die Nahrungsmittelproduktion aufgrund extremer Ereignisse wie Hitzewellen, Dürren und Überschwemmungen. Dadurch steigen die Nahrungsmittelpreise und gefährden den Zugang der Menschen zu ihren Ernährungsgrundlagen. Lateinamerika, insbesondere Zentralamerika, ist eine der am stärksten vom Klimawandel betroffenen Regionen der Welt. Durch seine exponierte Lage ist zum Beispiel Nicaragua weltweit das am vierthäufigsten von Naturereignissen heimgesuchte Land.

Im sogenannten «Corredor Seco» (dt. Trockengürtel) leiden aufgrund wiederkehrender Dürreperioden fast 30% der Kinder unter fünf Jahren an chronischer Unterernährung. Gleichzeitig kann das «El Niño Phänomen» in Zentralamerika sintflutartige Regenfälle auslösen, was zu Erdrutschen oder Überschwemmungen führt und ganze Gemeinschaften in ihrer Existenz bedroht. Während sich der Klimawandel in unseren Breitengraden vorwiegend in wärmeren und trockeneren Sommern manifestiert, sind die Auswirkungen in Lateinamerika also ungleich drastischer.


Die Krisenregion im Überblick




Vivamos Mejor im Einsatz

Erfahre mehr darüber, wo und wie wir uns für Biodiversität und nachhaltige Landwirtschaft einsetzen.

Die Mehrheit der Menschen in den Nebelwäldern der Gemeinde La Masica im Norden Honduras sind Kleinbauern und leben von der Subsistenzwirtschaft. Durch Übernutzung ihrer natürlichen Lebensgrund- lagen gefährden sie ihre Selbstversorgung und die Wassersicherheit der ganzen Region.

Problem: Nebelwälder an den Berghängen dienen als Pufferzone gegen Überschwemmungen und stellen den Wasserhaushalt sicher. Doch die Existenz dieser Wälder ist arg bedroht: Wegen veralteter Anbaumethoden und sinkenden Ernteerträgen sehen sich die Bauern genötigt, ihre Anbauflächen durch Waldrodungen zu erweitern. Wenn jedoch der Wald schwindet, kann auch der Wasserhaushalt nicht mehr reguliert werden. So entsteht ein fataler Teufelskreis.

Lösung: Wir schulen die Kleinbauern darin, von Mono- auf Mischkulturen und Agroforstsysteme umzustellen. Auf bestehenden Ackerflächen verringern wir mit kleinen Furchen, Bodenbedeckungen und Pflanzenbarrieren die Bodenerosion und fördern die Wasserversickerung sowie die Speisung des Grundwassers. Zudem unterstützen wir die Bauern dabei, ihre Viehhaltung auf ein verträgliches Mass zu reduzieren und durch alternative Einnahmequellen zu ergänzen wie z.B. den Verkauf von Kaffee, Mais, Bananen oder anderen Früchten.

Die Masterstudentin Stefanie Merkli hat auf ihrer Reise durch Mittelamerika die Pflanzen-Aufzucht- Anlage unserer Partnerorganisation in Guatemala besucht und berichtet von ihren Eindrücken.

«Nach meiner Ankunft in Panajachel am Lago de Atitlán wurde ich herzlich von José begrüsst, welcher mich auch am nächsten Tag auf meiner Exkursion durch die Berge rund um den See begleitete. Wir starteten frühmorgens und ich wusste noch nicht so recht, was mich erwarten würde. Um so grösser war meine Begeisterung, als wir bei der Pflanzen-Aufzucht-Anlage ankamen. Dort leistet ein kleines Team einen enormen Beitrag, um einheimische Arten aufzuziehen und die Biodiversität zu erhalten. Als Teil des Projektes «Leben dank Wasser-Sicherung der Überlebensgrundlagen im Yatza-Tal» setzen sie sich dafür ein, dass die Artenvielfalt auf den Feldern der Kleinbauern wieder steigt und deren Ernten somit besser ausfallen.

Der Einsatz aller Beteiligten hat mich sehr beeindruckt und zuversichtlich gestimmt, dass die Natur und die Leute um den Lago de Atitlán auf einem guten Weg sind.»

Die Kleinbauern der Gemeinde Puerto Morazán nahe des Flusses «Estero Real» sind Selbstversorger und sichern ihr Überleben mit Crevettenfang, Bananenanbau und Viehhaltung.

Problem: Die Wasserressourcen neigen sich dem Ende zu. Der letzte Wassereinzugsplan stammt aus dem Jahr 2002 und wird nicht umgesetzt. Werden die bisherigen Produktionsmethoden weiterhin angewendet, so stehen die Kleinbauern vor existenzbedrohenden Herausforderungen.

Lösung: Mittels Boden-, Biodiversitäts- und Niederschlagsanalysen wird der Wassereinzugsplan aktualisiert. Die Bauern und Gemeindemitglieder werden für die nachhaltige Nutzung ihrer natürlichen Ressourcen sensibilisiert und in den dafür notwendigen nachhaltigen Anbaumethoden geschult. Durch das gestärkte Umweltbewusstsein und die nachhaltigen Produktionsmethoden verbessert sich die Bodenfruchtbarkeit, der Zugang zu sauberem Wasser bleibt erhalten und das Ökosystem wird entlastet.

Fluss Estero Real

Inside Vivamos Mejor: Geschichten aus dem Feld

Seit Anfang März verstärkt Joachim «Jo» Jung unser Team als Projektleiter für Guatemala und Honduras. Er arbeitet schon mehr als 20 Jahre mit Kleinbauern zusammen und kennt ihre Herausforderungen aus erster Hand. 

Jo, du hast in den 90er Jahren zum ersten Mal mit Kleinbauern in Honduras gearbeitet, war damals der Klimawandel auch schon ein Thema?

Jo: Sicher nicht so wie heute. Gewisse Grundproblematiken zeigten sich aber bereits damals: Aufgrund fehlenden Wissens, unsachgemässer landwirtschaftlicher Praktiken wie etwa dem Abbrennen der Felder wurden die Böden übernutzt. Das hat zu Hungersnöten geführt und die Bauern mussten immer weiter in unberührte Wälder vordringen. Der Klimawandel verschärft diese menschgemachte Problematik massiv.

Was kann dagegen unternommen werden und was versteht man in diesem Zusammenhang unter dem Stichwort «Agrarökologie»?

Agrarökologie bietet Lösungsansätze für soziale und ökologische Probleme der Landwirtschaft in Zeiten des Klimawandels. Einerseits sind das ökologische Anbaumethoden, welche der Bodenfruchtbarkeit Sorge tragen und den Kreislauf von Boden-Pflanze-Tier und Mensch nachhaltig nutzen.Andererseits geht es aber um ein solidarisches und gerechtes Modell der Landwirtschaft und lokale Wertschöpfungskreisläufe. Ganz nach dem Motto «aus der Region, für die Region».

Und was heisst das konkret für einen Kleinbauern in Lateinamerika?

Durch neues Wissen kann er natürliche Ressourcen im Produktionskreislauf halten, wird unabhängig von teurem Saatgut sowie Pestiziden und kann seine Familie selber versorgen. Zudem hat er mehr Geld im Portemonnaie für Notfälle und wird resistenter gegen die Folgen des Klimawandels, z.B extreme Dürren oder plötzliche Starkregen. Aber auch die Umwelt hat etwas davon: Agrarökologische Systeme schützen die natürlichen Ressourcen und fördern die Biodiversität.

Stichworte Dürre und Starkregen: Mit einem sinnvollen Management von Wassereinzugsgebieten kann man diesen beiden Extremen entgegenwirken, wie funktioniert das genau?

In Guatemala betreue ich momentan ein Projekt mit dem Ziel, die Wasserressourcen im Tal für die Zukunft zu sichern. Wichtig dabei ist, dass das Regenwasser nicht oberflächlich abfliesst sondern in den Boden einsickert und das Grundwasser speist. Darum haben wir zusammen mit der Bevölkerung für das gesamte Tal verschiedene Anbau- und Schutzzonen definiert. Dies wird auf Karten und in einem Landnutzungsplan festgehalten. Ein lokales Komitee sorgt nun auch für die Einhaltung dieses Plans.

Das ist ein sehr lokaler Ansatz, müsste man diese Problematik nicht gesamtheitlicher angehen?

Das stimmt, um eine möglichst grosse Wirkung zu erzeugen müssen die Kräfte gebündelt werden. In Zentralamerika beziehen wir darum mit unserem Regionalprogramm verschiedene Länder und Klimazonen mit ein: Von der Vulkankette in Guatemala über die Atlantikküste von Honduras bis hin zum Trockenkorridor von Nicaragua arbeiten wir mit Bevölkerungsgruppen, die stark von den Auswirkungen des Klimawandels betroffen sind. Wir fördern Erfahrungsaustausch und ermöglichen so gegenseitiges Lernen zwischen allen Beteiligten. Die zentralen Themen in den Projekten sind Ernährungssicherheit, ländliche Entwicklung sowie die nachhaltige Bewirtschaftung natürlicher Ressourcen mit Fokus auf Wasser-, Wald- und Bodenschutz.



Einsatz für Vivamos Mejor