Guatemala Calling: Auf Reportagereise per Videocall
Unser Experiment einer umweltverträglichen Projekt-Reportage
Für die Reportage «Mehr als Kalorien» hat der Journalist Hanspeter Bundi die Projektregion durchstreift, ohne einen Fuss auf guatemaltekischen Boden zu setzen. Ein bewusster Entscheid: Statt nach Guatemala zu fliegen, besuchte er mit Hilfe unserer Projektmitarbeiterin Marla Muj via Videocalls die Projektregion, führte Interviews und recherchierte Hintergrundinfos. Die lokale Fotografin Morena Pérez Joachin steuerte nicht nur die Bilder und Videos für die Reportage bei, sondern dokumentierte auch die virtuelle Reportagenreise. Blicken Sie mit uns hinter die Kulissen.
Videoaufnahmen: Morena Pérez Joachin (Fairpicture)
«Ich fahre wieder nach Guatemala, sagte ich meiner Frau, wenn ich die Treppe hinauf in mein Büro und mit Marla auf Recherche ging»
Hanspeter Bundi, wir haben dich im Frühling für eine Reportage in Guatemala angefragt. Was war deine erste Reaktion?
Natürlich habe ich mich gefreut. Eine spannende Aufgabe in einer Region, welche ich schon vor 35 Jahren besucht hatte. Doch dann kamen Zweifel. So weit fliegen für ein paar Tage Recherche? In meiner Zusage habe ich den Vorschlag gemacht, dass ich in der Schweiz bleiben und mich ein*e Mitarbeiter*in vor Ort via Videocall ins Projektgebiet «mitnehmen» könnte.
Diese Idee war neu für uns, reizvoll … und mit Risiken verbunden. Woher sollten wir die Reportage nehmen, falls es mit den Videocalls nicht klappt?
Ich war positiv überrascht, wie schnell ihr darauf eingestiegen seid. Nach einer kurzen Diskussion über Zoom waren wir alle hier in der Schweiz und in Guatemala darin einig, dass wir das Experiment wagen sollten. Und so besuchte ich zusammen mit Marla Muj, einer indigenen Mitarbeiterin des Projekts, Pflanzungen und Küchen, Siedlungen und Schulungsräume. Über Whatsapp zeigte sie mir grosse Panoramen und interessante Details aus den Hügeln über dem Lago de Atitlán. Sie brachte mich in Kontakt mit Bäuerinnen und Agronomen, mit denen ich mich – oft in langen und persönlichen Gesprächen – austauschen konnte.
Bleibt die geografische Distanz nicht trotzdem ein Nachteil für die Recherche?
Ich fahre wieder nach Guatemala, sagte ich meiner Frau, wenn ich – wegen der Zeitverschiebung am Abend – die Treppe hinauf in mein Büro und mit Marla auf Recherche ging. Dank der vielen Bilder und der Offenheit der Menschen war es, als sei ich persönlich dort anwesend. Diese Nähe – so sagt man mir – sei in der Reportage zu spüren.
Hat sich der Versuch gelohnt?
Auf jeden Fall! Es war eine wertvolle Erfahrung für mich und nicht zuletzt konnten wir damit 3,4 Tonnen CO2 einsparen. Mit eurem schnellen und unbürokratischen Entscheid habt ihr Pioniergeist bewiesen. Das sage ich nicht nur, weil dies ein Interview für eure WINTER NEWS ist.
Übrigens: Auch bei der Erstellung der Fotos und Videos konnte Vivamos Mejor einen klimaschonenden Ansatz verfolgen. Die Organisation fairpicture brachte uns in Kontakt mit der lokalen Fotografin Morena Pérez Joachin, die von Guatemala City aus in wenigen Stunden im Projektgebiet war.
«Für die Familien, die an der Reportage teilnehmen, ist es eine Gelegenheit, als Protagonisten ihrer eigenen Geschichte aufzutreten»
Marla Muj, was waren deine ersten Gedanken, als du von der Idee der virtuellen Reportagenreise erfahren hast?
Am Anfang war ich besorgt, wie die Mütter auf die Interviews reagieren würden, da es für sie nicht einfach ist sich zu öffnen und mit einem Fremden über ihr Leben zu sprechen, vor allem nicht virtuell. Das Vertrauen, das die Familien in das Projekt und das Team haben, war jedoch von grundlegender Bedeutung, um die Interviews und Videoaufnahmen auf natürliche und spontane Weise durchführen zu können.
Wie war es für dich, Hanspeter zu begleiten ohne dass er vor Ort war?
Seit den ersten Aufnahmen vor dem majestätischen Atitlán-See und seinen wunderbaren Menschen, haben wir uns sofort verstanden. Hanspeters grosses menschliches Feingefühl und Erfahrung im respektvollen Umgang mit Menschen, ohne deren Privatsphäre zu verletzen, war grundlegend. Aber das Wichtigste war, dass wir als ein Team gearbeitet haben. Das ermöglichte mir, zu vermitteln, und Hanspeter, das Wesentliche des Projekts zu verstehen und zu erfassen.
Was sind aus deiner Perspektive die Vorteile einer solchen Projektreportage?
Für die Familien, die an der Reportage teilnehmen, ist es eine Gelegenheit, als Protagonisten ihrer eigenen Geschichte aufzutreten. Es ist eine neue Erfahrung für sie, die sie motiviert und ihr Selbstwertgefühl stärkt. Die Art und Weise, wie diese Reportage entstanden ist, ermöglicht zudem eine Maximierung der Ressourcen.
Gab es auch besondere Herausforderungen?
Die Internetverbindung in diese Gebiete ist häufig instabil, was etwa zu Unterbrüchen in den Videocalls führen kann. Im Allgemeinen – nicht in Bezug auf die virtuelle Erstellung der Reportage – ist die Zeit der Familien in den ländlichen Gemeinden begrenzt, um an so etwas teilzunehmen. Zudem hat es Zeit gekostet, alle Themen und Anliegen abzudecken, die der Journalist verstehen musste. Die Tage waren somit lang und es war ein zusätzlicher Aufwand neben meiner sonstigen Arbeit.