Lokale Ernährungssysteme gegen den Hunger
Die Allianz Sufosec zeigt im Ernährungsbericht 2022: Das Ende der Armut beginnt mit Nahrung
Seit 2015 steigt der Hunger weltweit wieder dramatisch an. Die COVID-Pandemie und der Ukraine-Krieg haben den Trend noch verschärft. Gemeinsam mit fünf weiteren Schweizer NGOs – als Allianz Sufosec – erarbeitet Vivamos Mejor Lösungsansätze, die dazu beitragen, Mangelernährung und Hunger weltweit und nachhaltig zu besiegen. Denn Hunger ist menschengemacht und kein Schicksal. Die Voraussetzungen ihn zu überwinden sind da.
Der Hunger steigt massiv
Bis zu 828 Millionen Menschen sind von Hunger betroffen. Vor 2015 war der Anteil der Mangelernährten und Hungernden stetig leicht gesunken. Seither steigt deren Zahl wieder an und erreicht heute 10% der Weltbevölkerung! Die Zahlen der FAO zur Welternährungslage unterstreichen die Ergebnisse unserer eigenen Ernährungsstudie: Eine Umfrage in 16 Ländern bei 14’000 Haushalten, die an dem Sufosec-Programm teilnehmen, ergab schockierende Ergebnisse: Jeder vierte Haushalt war durchschnittlich von Hunger betroffen, und drei von vier Haushalten hatten nur eingeschränkten Zugang zu Nahrung.
Die Tatsachen
Es werden genügend Nahrungsmittel produziert, um die Weltbevölkerung zu ernähren und das Recht auf Nahrung umzusetzen! Doch die Zahl Hungernder steigt wieder... Diese Tatsache zeichnete sich bereits vor der Pandemie ab: Nach Erfolgen Anfang des Jahrtausends, nehmen die Zahlen seit 2016 wieder zu. 2019 waren weltweit 650 Mio. Menschen unterernährt – 8,9% der Weltbevölkerung, im Jahr 2020 waren es bereits zwischen 720 und 811 Mio. Menschen. Bis 2030 rechnet die FAO mit über 840 Mio. hungernden Menschen. Seit 2019 stieg die Zahl der Hunger leidenden Menschen in Asien um 57 Mio., in Afrika um 46 Mio. und in Lateinamerika und der Karibik um 14 Mio.. Auch der Anteil der chronisch Unterernährten an der wachsenden Weltbevölkerung stieg innerhalb von nur einem Jahr deutlich, von 8,4% auf 9,9% in 2020. Am anderen Ende des Spektrums leiden 1,9 Milliarden Menschen an Übergewicht und krankmachender Fettleibigkeit.
Frauen trifft es härter – Mangelernährung wird weiblicher
Frauen ernähren sich häufig zuletzt und oftmals von dem, was nach der Ernährung von Kindern und Ehemännern noch übrig ist. Diese Tatsache sehen wir in allen Projektenregionen von Sufosec. Während der Pandemie öffnete sich die Schere zwischen Frauen und Männern weiter, so dass heute 10% mehr Frauen als Männer von Mangelernährung betroffen sind. Frauen, Männer, Betagte und Kinder müssen sich unterschiedlich ernähren, um gesund zu bleiben. In einem Ernährungssystem, das immer uniformer wird, stehen aber hauptsächlich die Bedürfnisse erwachsener, zahlkräftiger Männer im Vordergrund. Seit 2012 ist weltweit fast jede dritte Frau im Alter zwischen 15 und 49 Jahren von Blutarmut betroffen: Das sind 571 Mio. Frauen – ohne irgendeinen Fortschritt seit zehn Jahren! Blutarmut ist bei einem hohen Prozentsatz der Frauen eine Folge von einseitiger und mangelhafter Ernährung.
Die Fakten
Rund 60% der chronisch hungerleidenden Menschen auf der Welt sind weiblich. Und das, obwohl in vielen Ländern überwiegend Frauen für Beschaffung und Zubereitung von Nahrung zuständig sind. Weniger als 20% der Landbesitzer*innen weltweit sind Frauen. Gleichzeitig stellen Frauen des Globalen Südens 60% der landwirtschaftlichen Arbeitskräfte. Die Wahrscheinlichkeit unter Mangelernährung oder Hunger zu leiden, war im Jahr 2020 bei Frauen 11% höher als bei Männern. 2030 könnte der Wert bei 14% liegen. Gegen diese Entwicklungen anzukämpfen, ist eine der zentralen Aufgaben, der sich Sufosec stellt. Denn die FAO geht davon aus, dass der landwirtschaftliche Ertrag um 20 bis 30% höher ausfallen könnte, wenn das Potenzial der Kleinproduzentinnen gestärkt würde und sie gleiche Landzugangs- und Nutzungsmöglichkeiten hätten wie Männer: Es könnte 150 Millionen weniger hungernde Menschen auf der Welt geben.
Klima, Krisen, falsche Prioritäten
Die COVID-Pandemie und der Ukrainekrieg sind die aktuellen Brandbeschleuniger, welche den Trend zu immer mehr Hunger dramatisch verschlimmert haben. Grundlegend für Hunger und Mangelernährung ist aber seit Jahren die Nahrungsmittelspekulation, die immer wieder zu Preisexplosionen führt. Hinzu treten die lang- und mittelfristigen Prozesse wie die Klimakrise und der Verlust der Artenvielfalt. Zudem: Wo Ackerbauflächen zugunsten einer exportorientierten, ressourcenverschleudernden Fleisch- und Milchproduktion oder für den Anbau von pflanzlichen Treibstoffen genutzt werden, fehlen Flächen für den Nahrungsmittelanbau.
Die Hintergründe
Geopolitische Konflikte, Bürgerkriege und terroristische Bedrohungen beeinflussen die Hungersituation stark. Grossereignisse wie der Krieg in der Ukraine destabilisieren die Märkte und führen zu einer Explosion der Lebensmittel- und Energiepreise. Davon sind nicht alle gleich betroffen. Bereits COVID-19 zeigte die ungleiche Wirkung des Zusammenbruchs globalisierter Märkte: Während sich im Globalen Norden die Versorgung in nur wenigen Sektoren änderte und Lohnausfälle mehrheitlich kompensiert wurden, waren Ausfälle im Globalen Süden, z.B. von Dünger oder Saatgut sowie das Ausbleiben der Käufer unmittelbar spürbar. Aufgrund der fehlenden sozialen Absicherung fielen zusätzlich 97 Mio. Menschen in die Armut. 2,7 Milliarden Tonnen Getreide wurden 2019 weltweit geerntet, mehr denn je zuvor. Aber nur 43% davon dienen als Lebensmittel. Der Rest wird zu Tierfutter, Benzin und Industrierohstoffen verarbeitet, Tendenz steigend. Hunger ist somit zentral ein Verteilungsproblem, weil Nahrung nicht auf dem Teller landet, sondern dahin geliefert wird, wo das meiste Geld damit verdient werden kann. Zudem sind der Klimawandel und seine Folgen weltweit eine Bedrohung: Temperaturerhöhungen haben unmittelbaren Einfluss auf die Nahrungsmittelproduktion, denn sie führen zu Dürren und neuen Plagen. Das gefährdet die Erträge auf Äckern und damit die Ernährungssicherheit. Die Art und Weise, wie der Globale Norden derzeit Nahrungsmittel produziert und konsumiert, beschleunigt den Klimawandel. Die höchste Anfälligkeit für klimabedingte Mangelernährung besteht allerdings im Globalen Süden. Schliesslich gefährden wir durch den rapiden Niedergang der Artenvielfalt unsere Lebensgrundlagen. Die konventionelle und hochindustrialisierte, input-intensive Landwirtschaft gehört zu den wichtigsten Treibern des Verlusts biologischer Vielfalt und der Agrobiodiversität im Besonderen. Dies hat schwerwiegende Folgen für Ernährungssicherheit und Gesundheit weltweit.
«Zero hunger» muss erreicht werden
Nur wenn wir diese Herausforderungen integriert angehen, können wir den Trend langfristig wieder umkehren und das nachhaltige Entwicklungsziel «Zero hunger» bis 2030 erreichen. Die Allianz Sufosec beteiligt sich aktiv an diesem Umsteuern. Die jüngsten Rückschläge zeigen, dass in Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft weiterhin grosse Anstrengungen zur erfolgreichen Bekämpfung von Hunger unternommen werden müssen. Nur zusammen werden Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft Lösungen entwickeln können, die den Hunger endlich zur Geschichte machen und das Ziel «Zero hunger» erreichen. Hunger ist menschengemacht – das heisst auch, wir können ihn beenden.
Der Beitrag der Allianz Sufosec
Lokale Ernährungssysteme und Agrarökologie
Die Allianz Sufosec ist auf einem gemeinsamen Weg, Lösungen für die aktuellen Herausforderungen bei der Überwindung von Mangelernährung und Hunger zu erarbeiten und umzusetzen. Unsere Erfahrungen als NGOs aus der Entwicklungszusammenarbeit und wissenschaftliche Studien zeigen, dass agrarökologische Methoden und die Förderung lokaler Ernährungssysteme die erfolgversprechendsten Ansätze sind Hunger und Fehlernährung integriert zu bekämpfen.
Wir können uns keine Ansätze mehr leisten, die ein Ziel auf Kosten eines anderen erreichen wollen. Ernährungssicherheit, Klimaschutz und dem Erhalt der Arten müssen gleichzeitig und integriert angegangen werden, wie dies die Agrarökologie tut. Solche Ansätze sollte auch die Schweiz in den Mittelpunkt ihrer Entwicklungszusammenarbeit und Agrarpolitik stellen. In den Sufosec-Projektgebieten waren rund 72 Prozent der Menschen mangelernährt oder von Hunger betroffen.
Die Allianz hat sich bis Ende 2024 zum Ziel gesetzt, nachhaltig eine ausreichende und gesunde Ernährung zu ermöglichen und so Mangelernährung und Hunger um 20% zu reduzieren. Die ersten Ergebnisse stimmen zuversichtlich: Sufosec hat erreicht, dass jährlich 52‘000 Familien erstmals agrarökologische Massnahmen anwenden und so ihre Ernährungssituation nachhaltig verbessern konnten. Allein dadurch sank das Risiko bis zu 16%, unter Mangelernährung zu leiden. So konnten sich jährlich bis zu 8‘300 Familien ausreichend, nachhaltig und gesund ernähren. Diese positiven Ergebnisse wird die Allianz Sufosec intensivieren und verbreitern.
«Lokale Ernährungssysteme sind oft die einzige Quelle für erschwingliche, nahrhafte Lebensmittel für von Armut betroffene ländliche und städtische Gemeinschaften.»
Die Schweizer Allianz für nachhaltige Ernährung weltweit (Sufosec) ist ein Zusammenschluss von sechs Schweizer Nichtregierungsorganisationen, die in der Entwicklungszusammenarbeit tätig sind – Vivamos Mejor ist eine davon. Gemeinsam sind wir auf dem Weg, Lösungen für die aktuellen Herausforderungen bei der Überwindung von Mangelernährung und Hunger zu erarbeiten und umzusetzen. Unsere Erfahrungen aus der Entwicklungszusammenarbeit und wissenschaftliche Studien zeigen, dass agrarökologische Methoden und die Förderung lokaler Ernährungssysteme die erfolgversprechendsten Ansätze sind, um Hunger und Fehlernährung integriert zu bekämpfen.
Mehr erfahren: www.sufosec.ch